Lockruf der Vergangenheit by Barbara Wood

Lockruf der Vergangenheit by Barbara Wood

Autor:Barbara Wood [Wood, Barbara]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2010-12-16T23:00:00+00:00


10

Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Gertrude hatte mir zwar noch einen kleinen Imbiß und eine Tasse Schokolade gebracht, ehe ich zu Bett gegangen war, aber das hatte nichts geholfen. Die Aufregungen des Tages wirkten nach. Als ich schließlich doch eingeschlafen war, hatte Dr. Youngs späte Ankunft mich aus dem ersten Schlummer gerissen, und danach hatte ich Mühe, wieder Ruhe zu finden. Kein Wunder, daß ich mit leichten Kopfschmerzen erwachte, als das erste graue Licht des Tages ins Zimmer fiel.

Es war so kalt, daß ich noch eine Weile unter der Decke liegenblieb. Ich versuchte die Gefühle heraufzubeschwören, die mich am vergangenen Tag im Wäldchen bewegt hatten, aber der Nachmittag war mir so fern, als wären Monate vergangen. Colins Worte waren es, die mich vor allem bewegten, sein ruhiges Hinnehmen eines heimtückischen Schicksals, und vor allem seine und der anderen Entscheidung, keine Kinder mehr in die Welt zu setzen. Es war einfach furchtbar!

Ich stand schließlich doch auf, zog die Vorhänge zurück und blickte in einen grauen, unfreundlichen Tag hinaus. In der Auffahrt standen große dunkle Pfützen, die kahlen Zweige der Eschen und Akazien glitzerten, als wären sie mit Girlanden winziger Diamanten geschmückt. Ein Mädchen kam herauf, um mir beim Ankleiden zu helfen. Sie bürstete mein Samtkleid aus, schnürte mir das Korsett und ordnete die Unterröcke über der Krinoline. Sie half schweigend, ohne mich anzusehen, und ich fragte mich, was die Hausangestellten wohl über diese exzentrische Familie dachten.

Als ich ins Frühstückszimmer hinunterkam, stellte ich mit Überraschung fest, daß ich ganz allein war. Gertrude berichtete mir, daß Anna und Theo bei Henry wachten, dem es zusehends schlechter ging, während Martha es vorgezogen hatte, auf ihrem Zimmer zu bleiben und zu sticken. Colin war schon in aller Frühe ausgeritten.

Nachdem ich meinen Tee getrunken hatte, dem ich gegen die Kopfschmerzen ein wenig Brandy beigegeben hatte, beschloß ich, einen Rundgang durch das Haus zu machen. In London hatte ich immer einen Spaziergang im Hyde Park gemacht, wenn mich Probleme gequält hatten. Ich bildete mir ein, an der frischen Luft klarer denken zu können. Aber da das Wetter an diesem Tag so wenig verlockend war, beschloß ich, meinen Spaziergang ins Haus zu verlegen.

Mein erster Weg führte mich in den Salon. Ich wollte mich ans Klavier setzen und ein bißchen spielen, aber ich war innerlich so ruhelos, daß ich schon nach den ersten Takten wieder aufsprang. Flüchtig inspizierte ich ein paar andere, seltener benutzte Räume im Erdgeschoß; einen weiteren Salon, ein Arbeitszimmer, den Wintergarten, einen Tanzsaal, dessen Lüster von einer dicken Staubschicht blind und grau geworden waren. Meine Schuhe klapperten auf polierten Holzfußböden. Und überall umgab mich die gleiche strenge Stille. Mir war, als spürte ich in allen Räumen den starren Geist meiner Großmutter, die mit harter Hand über diese Familie herrschte und eisern an der Vergangenheit festhielt, als ob sie die Zeit zum Stillstand bringen wollte.

Nach einem ausgedehnten Rundgang durch das Erdgeschoß, wo ich nur ab und zu einem der Angestellten begegnete, die mich jeweils höflich grüßten, kehrte ich in die Bibliothek zurück, die mir in diesem Haus der liebste Raum war.



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